HVO100. Ist dies die Zukunft für Dieselmotoren im Straßenverkehr?

HVO100 - Coyote Logistics

In dem Film „Zurück in die Zukunft Teil II“von 1989 sehen wir eine fantastische Vision des Jahres 2015, in der Autos nicht nur fliegen, sondern auch von Motoren angetrieben werden, die mit Müll betrieben werden. Wir schreiben das Jahr 2023 und die Autos sind immer noch nicht in der Luft, wie in der filmischen Vision von vor Jahren, aber Treibstoff aus Abfall ist –in gewissem Sinne, zugegeben –eine Tatsache geworden.

Die moderne Automobilindustrie bewegt sich rasch in Richtung Nullemissionen. Elektroautos sind auf den europäischen Straßen bereits alltäglich, und mit Wasserstoffzellen betriebene Modelle werden immer beliebter. Ab 2035 werden in der Europäischen Union nur noch Neuwagen mit alternativen Antrieben erhältlich sein. Im Falle von Lastkraftwagen hingegen, Elektrofahrzeuge (EV) und Wasserstofffahrzeuge (FCEV) kommen gerade erst auf den Markt, aber heute wird niemand mehr bestreiten, dass auch der Straßenverkehr bald emissionsfrei sein wird.

Die Entwicklung ökologischer Energiequellen für LKW ist noch nicht abgeschlossen. Das Gewicht der Batterien sinkt, und die Reichweite von Elektro-LKW nimmt zu. Mit Brennstoffzellen betriebene Modelle überschreiten auch die Grenzen der Reichweite, die mit einer Wasserstoffbetankung zurückgelegt werden kann. Die Hindernisse, die der Verbreitung von EV- und FCEV-Antrieben im Straßenverkehr im Wege stehen, sind jedoch noch nicht beseitigt: Einschränkungen in der Infrastruktur (z. B. fehlende Lade- oder Wasserstofftankstellen an Autobahnen oder Schnellstraßen) und der immer noch hohe Anschaffungspreis von EV- und FCEV-Modellen im Vergleich zu ihren Pendants mit Dieselmotoren.

Dies bedeutet, dass Diesel-LKW auch in den kommenden Jahren auf den europäischen Straßen dominieren werden, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht noch umweltfreundlicher werden können. Sie können für die Verbrennung von HVO100, d.h. synthetischem und erneuerbarem Dieselöl, umgerüstet werden.

Was ist HVO100?

Können Sie sich vorstellen, einen leistungsstarken 13-Liter-Reihensechszylinder-Dieselmotor, der einen Sattelschlepper antreibt, mit altem Pommes frites-Öl zu betanken? Science-Fiction, vergleichbar mit dem mit Abfall betriebenen Motor aus „Zurück in die Zukunft II“? Science-Fiction, vergleichbar mit dem Müllmotor aus „Zurück in die Zukunft II“? Auf jeden Fall Wissenschaft, aber definitiv keine Fiktion mehr, sondern Realität. Die Sache ist natürlich viel komplizierter, aber ganz einfach gesagt ist die Betankung des HVO100 in gewisser Weise nichts anderes als die Betankung von Altspeiseöl.

HVO100 ist ein Biokraftstoff der zweiten Generation, der aus hydriertem Pflanzenöl besteht. Der Vorgänger von HVO100, d.h. Biodiesel der ersten Generation (FAME), wird aus Rapsölmethylestern hergestellt. HVO100 wird aus Pflanzenölen und Abfällen der Lebensmittelindustrie (Obst- und Gemüsereste, aber auch Altspeiseöle) hergestellt. Das bedeutet, dass es sich um einen zu 100 % erneuerbaren Kraftstoff handelt. Die Zahl 100″im Namen HVO100 bedeutet, dass der Dieselkraftstoff vollständig aus den oben genannten Rohstoffen hergestellt wird. Er kann jedoch mit aus Rohöl hergestelltem Diesel gemischt werden. Der Anteil von HVO im Verhältnis zu klassischem Dieselöl wird auch durch die Zahl im Namen bestimmt: HVO30, HVO50 usw.

HVO wurde erstmals 2007 von dem finnischen Unternehmen Neste auf den Markt gebracht. Dieses Unternehmen ist bis heute führend in der HVO-Produktion. In den folgenden Jahren wurde Biodiesel der zweiten Generation von Petrochemieunternehmen wie der italienischen Eni und der französischen TotalEnergies in ihr Angebot aufgenommen. HVO kann nicht nur in Finnland, sondern auch in Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Schweden, Litauen, Lettland und Estland gekauft werden. Die Zahl der Tankstellen in Europa, an denen dieser Kraftstoff erhältlich ist, übersteigt bereits eintausend. Und immer mehr Unternehmen investieren in die Infrastruktur für die Produktion von HVO100. In Europa wird Biodiesel der zweiten Generation gemäß der Norm EN15940 hergestellt, und Prognosen zufolge soll die Produktion bis 2030 fast 16 Millionen Tonnen jährlich erreichen. Derzeit beträgt der Anteil von HVO an der gesamten Biodieselproduktion in Europa 9 %, aber innerhalb von fünf Jahren wird er voraussichtlich zwischen 16 % und 23 % liegen. Dies wird die HVO-Hersteller vor einige Herausforderungen stellen, da sie die Versorgung mit Rohstoffen für die HVO-Produktion sicherstellen müssen. Zu den Lösungen, die bereits umgesetzt werden, gehört unter anderem der Import von Palmfettsäuredestillat aus asiatischen Ländern. Dies hat jedoch auch eine weniger positive Seite, dazu später mehr.

Ist HVO100 nachhaltig?

HVO wird oft als „grüner Diesel“bezeichnet. Warum eigentlich? Natürlich lassen sich durch die Verwendung dieses Kraftstoffs die Kohlendioxidemissionen in die Atmosphäre nicht vollständig vermeiden, aber wenn HVO in seiner reinsten Form, HVO100, getankt wird, sinken die CO₂-Emissionen bei der Verbrennung im Vergleich zu herkömmlichem Dieselkraftstoff um bis zu 90 %. Grüner Diesel reduziert auch die Partikelemissionen um über 30 % und die Stickoxidemissionen um 9 %.

Dieser Kraftstoff hat eine geringere Dichte als herkömmlicher Diesel, so dass nur geringfügige Anpassungen am Fahrzeugmotor erforderlich sind, die eine Anpassung des Kraftstoffeinspritzsystems beinhalten. Dies ist ein großer Vorteil, denn es handelt sich weder um einen kostspieligen Vorgang noch um einen tiefen Eingriff in die Fahrzeugmechanik. Außerdem kann nach der Umstellung des Antriebsaggregats auf HVO weiterhin herkömmlicher Diesel verwendet werden, und Biodiesel der zweiten Generation beschädigt die Motordichtungen in keiner Weise. Die Betankung mit HVO kann auch zu einer leichten Leistungssteigerung des LKW-Motors und zu einer Erhöhung der Effizienz führen.

Führende Hersteller von Lastkraftwagen und Sattelzugmaschinen (u. a. DAF, Scania und Mercedes-Benz) legen Wert auf die Einhaltung der HVO-Normen bei den von ihnen angebotenen Antriebsaggregaten, die die Normen EURO V und EURO VI erfüllen.

In Europa ist ein Liter HVO-Diesel um etwa 1 EUR teurer als ein Liter herkömmlicher Diesel, da sein Herstellungsverfahren teurer ist. Sie sehen also, dass die Verwendung von Biodiesel der zweiten Generation im Vergleich zu klassischem Dieselkraftstoff etwas teurer sein kann. In einer Situation, in der die Verlader von ihren Spediteuren die Einhaltung bestimmter Umweltbedingungen verlangen und das Transportunternehmen noch nicht über eine ausreichend große Flotte emissionsfreier Fahrzeuge verfügt, kann HVO100 es ihnen jedoch ermöglichen, diese Erwartungen zu erfüllen und die Zusammenarbeit fortzusetzen.

Wenn es um die Nachhaltigkeit  von HVO100 geht, müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden. Der erste ist die Verringerung der Gasemissionen in die Atmosphäre bei der Verbrennung dieses Kraftstoffs während der Fahrt, wie wir bereits erwähnt haben. Der zweite Aspekt ist die Nachhaltigkeit des Biodieselherstellungsprozesses der zweiten Generation selbst. Wie die Experten von Einride erklären, kann man sagen, dass HVO auf nachhaltige Weise hergestellt wird, wenn es aus Abfallstoffen gewonnen wird. Wurde die für die Herstellung von HVO verwendete Biomasse jedoch von Anfang an mit dem Ziel produziert, Biodiesel herzustellen, kann sie kaum als nachhaltig bezeichnet werden, da sie für weitaus notwendigere Zwecke, wie z. B. für Lebensmittel oder Holz, hätte verwendet werden können. Einride-Experten weisen auch darauf hin, dass es derzeit weltweit nicht genügend Biomasse gibt, um HVO100-Kraftstoff auf völlig nachhaltige Weise zu produzieren und den Bedarf der gesamten Verkehrsindustrie zu decken. Um dies zu ermöglichen, müsste die Biomasseproduktion allein für diesen Zweck erhöht werden, was möglicherweise mit dem vielleicht negativsten Aspekt von Biodiesel der zweiten Generation zusammenhängt: der Abholzung von Wäldern.

In Schweden (wo HVO im Jahr 2017 immerhin ⅔ der dort produzierten Biokraftstoffe ausmachte) wird die Hälfte dieses Kraftstoffs aus dem bereits erwähnten Palmöl hergestellt. Leider ist das Verfahren zur Gewinnung von Palmöl äußerst umweltschädlich, denn es bedeutet eine übermäßige Abholzung der Palmwälder und damit die Zerstörung des Ökosystems Regenwald. Die rasche Abholzung der Wälder zur Gewinnung von Palmöl verringert auch die Fähigkeit unseres Planeten, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehende Kohlendioxid zu absorbieren. Der Fall Schweden zeigt noch eine weitere negative Seite von HVO: Der größte Teil des Palmöls für seine Herstellung wird aus Malaysia und Indonesien importiert, und der Transport von Asien nach Europa ist nicht umweltneutral.

Ist HVO100 die Zukunft des Straßenverkehrs?

Trotz seiner Vorteile gegenüber herkömmlichem Dieselöl und anderen Arten von Biodiesel ist es schwierig, eine klare Vorhersage zu treffen, dass HVO den Markt in naher Zukunft vollständig beherrschen wird. In Europa kann man diesen Kraftstoff inzwischen an Tausenden von Tankstellen kaufen, aber noch nicht in allen Ländern. Die neuesten Lastkraftwagen und Zugmaschinen der größten Hersteller sind bereits auf die Verwendung von HVO umgerüstet, aber der Preis für diesen Kraftstoff ist nach wie vor höher als der von herkömmlichem Dieselöl. Immer mehr petrochemische Unternehmen investieren Mittel in Anlagen zur Herstellung von Biodiesel der zweiten Generation, aber derartige Projekte benötigen aufgrund ihres Umfangs und ihrer Komplexität Jahre bis zur Fertigstellung. Darüber hinaus ist Biodiesel der zweiten Generation zwar wesentlich umweltfreundlicher, aber nicht völlig ökologisch neutral. Bei der Verbrennung wird nach wie vor CO₂ in die Atmosphäre freigesetzt, und die für seine Herstellung erforderlichen Rohstoffe stammen nicht aus vollständig nachhaltigen Quellen. Die Richtung, in die sich die Automobilindustrie bewegt und die auch durch EU-Verordnungen (z. B. Fit for 55) vorgegeben wird, ist indessen klar: vollständige Nullemission, auch im Straßenverkehr. Nur Elektro- und Wasserstoffantriebe werden dieses Ziel erreichen.

Unter Berücksichtigung aller oben genannten Informationen kann man wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass HVO100-Biodiesel (wegen all seiner Vorteile, aber auch wegen der Nachteile und Beschränkungen bei der Verfügbarkeit nachhaltiger HVO-Inhaltsstoffe, die überwunden werden müssen) eine Übergangsphase darstellen wird, bevor die Straßentransporte vollständig kohlenstoffneutral werden. Aus heutiger Sicht ist klar, dass dies noch einige Zeit dauern wird, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Kraftstoffindustrie immer mutiger in HVO100 investiert. Biodiesel der zweiten Generation wird also die Zukunft des Diesels sein, aber nur für eine begrenzte Zeit, bevor er durch Strom und Wasserstoff ersetzt wird.

 

Quellen (ausgewählt):

  • https://en.wikipedia.org/wiki/Hydrotreated_vegetable_oilx
  • https://etransport.pl/wiadomosc,69768,firmy_transportowe_szukaja_rozwiazan_10145_paliwo_hvo_hvo100_jednym_z_nich.html
  • https://bioenergyinternational.com/hvo100-third-largest-transportation-fuel-type-sweden/
  • https://www.einride.tech/insights/dont-be-fooled-by-the-sustainable-promise-of-hvo
  • https://www.einride.tech/insights/battery-electric-vs-hvo-vs-hydrogen-fuel-cell/
  • https://efuelsnow.de/tankstellen-karte
  • https://www.neste.be/en/neste-my-renewable-diesel-be/product-information/what-is-hvo
  • https://www.kalmarglobal.com/eco-efficiency/hvo100/
  • https://www.greenea.com/en/publication/is-hvo-the-holy-grail-of-the-world-biodiesel-market/